…diesen Wunsch haben wohl alle Flüchtlings-Unterstützer. Und so griff Welcome to Wandsbek das Angebot von Pastor Jan Simonsen gerne auf. Er hatte vorgeschlagen, Wulf Köpke, seines Zeichens Ethnologe, Experte für interkulturelle Fragen – speziell des Vorderen Orients – zu einem Gesprächsabend einzuladen. Große Unsicherheit im Vorfeld: Wieviele Interessierte mögen wohl am 13.4. den Weg ins Kulturschloss finden? 20? 30? Es wurde schließlich ziemlich eng: Über 70 Gäste drängten sich zusammen, eine kurze Abfrage ergab, dass nur 1/3 von ihnen aktiv mit Geflüchteten arbeitet. Das Interesse am Thema geht also weit über den Kreis der ehrenamtlichen Helfer hinaus.

Keine einfachen Antworten
Das Thema ist riesig, die Fragen viele, der Gesprächsbedarf groß. Nur gut, dass der Veranstalter im Vorfeld Sub-Themen zur Auswahl stellte (s. Foto, aufgenommen zu Beginn der Bewertung).

Die Besucher waren eingeladen, ihr wichtigstes Thema mit einem Punkt zu versehen. Ergebnis: Am stärksten interessierte, welches die größten Herausforderungen für die Geflüchteten sind. Ein ganzer Strauß kam zustande. Stichworte dazu: Bleibeperspektive, Behördenansprüche, materielle und Wohnsituation, kulturelle und soziale Orientierung. Aber auch psychologische Aspekte wie die Bewältigung (oder Verdrängung) von Traumata. Letztlich also geht es um die Neu-Findung der Identität in fremder Umgebung – eine große Herausforderung.
Wulf Köpke räumte mit Vorurteilen auf: Viele Flüchtlinge sind mittellos, nicht jeder aber ist arm. Flüchtlinge, die es nach Deutschland geschafft haben, entstammen häufiger der Mittelschicht ihrer Herkunftsländer. Allemal Familien aus der Unterschicht bleiben eher in den großen Flüchtlingscamps des Nahen Osten hängen. Andererseits gilt es immer wieder, Stereotypen zu vermeiden. So kennen viele Unterstützer Analphabeten aus einfachsten Verhältnissen. Es dürfe auch keinesfalls davon ausgegangen werden, dass insbesondere Bürgerkriegsflüchtlinge dauerhaft in Deutschland bleiben wollen, so Köpke. Es sei damit zu rechnen, dass viele nach Kriegsende in die Heimat zurück wollen – mit den entsprechenden Implikationen, die das für aktuelle Integrationsbemühungen hat.
Praxis trifft Wissenschaft
Ehrenamtliche aus einer Kleiderkammer berichteten, dass manche Muslime gebrauchte Schuhe ablehnen, eine Steilvorlage für den Referenten, den Ehrbegriff zu beleuchten. Dessen Bedeutung ist innerhalb der muslimischen Länder selbst sehr unterschiedlich, weicht aber erst recht ab von dem in Mitteleuropa gebräuchlichen. Das ist eines der Themen, bei dem Werte-Haltungen zur Diskussion stehen. Auch dahingehend, dass sich die Frage stellt, wie groß Toleranz gegenüber manchen, nach hiesigen Maßstäben überholten, Gepflogenheiten sein soll. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Flüchtlinge in aller Regel stolz auf ihr Land sind und dessen kulturellen Werte und Normen einen wesentlichen Teil ihrer Identität ausmachen. Für die Veranstaltungsteilnehmer, unter denen kein Flüchtling erkennbar war, aber stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Toleranz, Integrations- und Assimilationsbestrebungen zueinander stehen sollen. Der Abend war viel zu kurz, vertieft darauf einzugehen.

Wulf Köpke berichtete von Bemühungen Ehrenamtlicher, mit Flüchtlingen über das hiesige Wertesystem ins Gespräch zu kommen. Ein Schmunzeln ging durch den Saal, als er die Mülltrennung als eines der dabei aus seiner Sicht fälschlicherweise priorisierten Themen nannte. Einer unserer Ehrenamtlichen aus dem Projekt „Fit für Deutschland“ fragte nach: Welche Themen sind aus Sicht des Referenten für Geflüchtete am Anfang besonders relevant? Köpke empfahl, weniger Werte zum Thema zu machen, denn die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, wie Geflüchtete zum Erfolg in Deutschland kommen können. Besondere Bedeutung dabei habe das Thema Arbeit, denn die meisten der Neubürger sind hochmotiviert, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Dies entspricht auch den Erfahrungen der Ehrenamtlichen.
Viel Stoff zum Nachdenken
Am Ende der Veranstaltung war klar: Das kann nur ein Auftakt gewesen sein! Der Referent hat bei vielen der TeilnehmerInnen die Neugier geweckt, sich mehr mit dem Unterschied der Kulturen und den ganz praktischen Auswirkungen auf die Arbeit in der Flüchtlingshilfe zu beschäftigen. Und nicht nur das. Jeder Einzelne sieht sich stärker als zuvor gefordert, scheinbare Selbstverständlichkeiten und Glaubenssätze zu hinterfragen. Wie ist damit umzugehen, wenn aus anderen Kulturen stammende Lebensweisen mit dem hiesigen Leben schwer in Übereinstimmung zu bringen sind, z.B. im Zusammenleben der Geschlechter? Wohl jede/r der VeranstaltungsteilnehmerInnen nahm Fragen mit. Gerne nahmen die Veranstalter das Angebot von Wulf Köpke an, das Gespräch fortzusetzen.
A.W.